Eine neue Geschichte
Vertrauen
„Was meintest du damit: Du willst nicht mit mir darüber reden? Mir kannst du doch vertrauen.“ Er sah mich aus seinen leuchtenden (und, wie ich fand, wunderschönen) blauen Augen fragend an. Ich mochte diesen Gesichtsausdruck. Er hatte irgendwie eine komische, aber schöne Wirkung auf mich. „Würdest du mit anderen Leuten darüber reden?“, bohrte er weiter, wie es nun mal seine Art war. Leider.
Ich schüttelte den Kopf. „Nein. Ich würde eigentlich mit niemanden darüber reden.“ Aber mit dir ganz besonders nicht, fügte ich im Stillen hinzu.
Er nickte, wobei ihm eine kurze Haarsträhne in die Augen fiel. Er strich sie mit einer Hand weg.
Irgendwie machte er mich langsam sauer mit seinem Gelaber...Aber ich wusste, ich konnte nicht sauer auf ihn sein; ich konnte nicht sauer sein auf den Menschen, für den ich Gefühle empfand. Ich wusste ja auch, dass man mit ihm prima über Sachen reden kann; er würde nicht sauer werden...Aber trotzdem traute ich mich nicht. Trotzdem vertraute ich ihm nicht.
Mir kamen die Tränen. Ich wollte sie zurückhalten und sie brannten in meinen verdammten Augen. Zirka eine Minute ging das auch gut, doch dann bahnten sie sich einen Weg nach draußen und ich konnte nichts dagegen machen und fing haltlos an zu schluchzen.
Er legte mir eine Hand auf den Rücken und streichelte mich immer wieder sanft, was mich zittern ließ. Dabei redete er ununterbrochen mit diesen Nonsens – Worten die man halt immer zum Trösten benutzt auf mich ein.
Die Worte hatten zwar eine beruhigende Wirkung auf mich, aber ich konnte mich einfach nicht beruhigen (vielleicht wollte ich das auch gar nicht).
Er streichelte mich immer noch, aber das nahm ich nur am Rande wahr. Auch redete er immer noch auf mich ein, aber ich hörte ihm nicht mehr zu. Ich heulte einfach weiter. Wie peinlich!
„Hey. Ist doch gut. Schhh...Beruhige dich doch“, drang seine Stimme wieder durch meine Gedanken.
Ich hörte auf zu schluchzen (oder jedenfalls versuchte ich das) und sah ihn aus tränenverquollenen Augen an. Ich sah direkt in seine blauen, freundlichen Augen.
„Alles okay?“ Er guckte mich an und lächelte.
Ich wollte „ja“ sagen, brachte das aber voll nicht auf die Reihe (es kam nur irgendein leises, heiseres Gekrächze aus meinem Mund), also nickte ich nur. Ich lächelte ihm kurz zu. Er grinste zurück.
Wie kann man so perfekte Zähne haben, schoss es mir plötzlich und total sinnlos durch den Kopf.
Er hatte aufgehört, mir über den Rücken zu streichen. Seine Hand lag jetzt ruhig auf dem Sofa, auf dem wir beide saßen.
„Ich geh mal kurz ins Bad“, sagte ich ziemlich leise. Ich dachte schon, er hätte mich gar nicht verstanden, aber er nickte.
Ich verließ das Zimmer. Im Badezimmer angekommen sah ich mich im Spiegel an. Wie erwartet. Meine Augen waren total verquollen und mein Gesicht war rot wie eine Tomate. Ich ließ den Wasserhahn laufen und versuchte mich so gut es ging wieder einigermaßen vorzeigefähig herzurichten. Ich nahm warmes Wasser und spritzte es mir ins Gesicht. Danach trocknete ich es mir mit Klopapier ab.
Wieder einigermaßen vorzeigefähig ging ich zu ihm zurück.
„Geht’s wieder?“, fragte er, gleich nachdem ich mich neben ihn gesetzt hatte.
Ich nickte. „So gut, wie es eben geht“, meinte ich und lachte. Zum ersten mal, seit ich bei ihm war, lachte ich. Und es war nicht gezwungen.
Er lachte mit. „Na das freut mich doch“, grinste er. Nach einiger Zeit fragte er: „Willst du mir nicht doch erzählen, weswegen du geweint hast? Vielleicht kann ich dir ja helfen?“
Ich schüttelte den Kopf. „Du würdest mir sowieso kein Wort glauben.“
„Probiers aus“, meinte er fröhlich. „Ich werde dich ganz bestimmt nicht auslachen. Und für verrückt erklären auch nicht. Also musst du auch keine Angst haben.“ Er zwinkerte.
Ich seufzte. „Ich halte das irgendwie für keine gute Idee.“ Für diese Antwort handelte ich mir einen fragenden Blick und eine Frage von ihm ein: „Wieso?“
„Ich weiß auch nicht“, erklärte ich spärlich weiter.
Er zuckte mit den Schultern. „Okay, wenn du nicht darüber reden willst, dann lass es, aber denk daran: Wenn du wirklich mal vorhast, mit jemanden darüber zu reden: Ich hör immer zu. Du kannst mich auch in der Nacht anrufen, wenn es dir so scheiße geht und du dich einfach nur nach jemandem sehnst, mit dem du reden kannst.“ Er lächelte.
Ich nickte. „Danke, das ist echt super lieb von dir.“ Und ohne Vorwarnung umarmte ich ihn. Ich hatte keine Ahnung, was in mich gefahren war; ich tat es einfach, und es tat gut. Sehr gut sogar.
Er lachte, aber er erwiderte die Umarmung. Er streichelte mir kurz über den Rücken, bevor wir uns wieder voneinander trennten.
„Schön, dass ich dich wenigstens etwas trösten konnte“, grinste er.
Ich neckte ihn: „Ne, das hast du gar nicht. Ich tu grad nur mal so...Eigentlich bin ich immer noch so drauf wie vorhin.“
Er lachte und meinte, dass man das total merken würde.
Ich tat so, als wäre ich traurig. „Mist! Ich dachte, ich könnte gut schauspielern.“
Er zwinkerte. Mehr nicht. Einfach nur ein Zwinkern. Ich hatte keine Ahnung, wie ich darauf reagieren sollte, also reagierte ich gar nicht, sondern warf einen Blick auf den digitalen Wecker. 23:43 Uhr.
Ich gähnte. Auf ein mal merkte ich, wie müde ich eigentlich war. „Ich geh mir mal eben die Zähne putzen“, meinte ich und verließ das Zimmer, um im Bad zu verschwinden.
Es war 0:12 Uhr, als wir beide nebeneinander (viel zu nah nebeneinander, wie ich fand) im Bett lagen und das Licht aus war.
Ich sah in die undurchdringliche Dunkelheit und versuchte zu schlafen. Leider gelang mir das nicht.
„Schläfst du schon?“, flüsterte ich.
Ein leises, erschöpft klingendes Geräusch, was so etwas wie „nein“ heißen sollte und etwa so wie „hmhm“ klang, kam als Antwort. „Nur so halb“, wisperte er. „Kannst du nicht schlafen?“
„Nein“, meinte ich und schüttelte automatisch den Kopf, obwohl ich wusste, dass er das in der Dunkelheit sowieso nicht sehen könnte (wenn er mich gerade überhaupt anguckte).
„Willst du dir einen Tee oder so was kochen?“, fragte er weiter.
Ich verneinte. „Das ist viel zu viel Aufwand jetzt. Außerdem habe ich mir die Zähne geputzt; das wäre dann voll widerlich und im Übrigen wäre das zu laut, wenn ich jetzt noch Wasser kochen würde.“
„Okay“, meinte er. Es klang erschöpft. „Wenn du doch irgendwas willst, weißt du ja denke ich, wo du es findest. Wenn nicht, dann weck mich einfach.“
„Ja, das passt schon“, meinte ich. „Wecken werde ich dich aber sicherlich nicht.“
Aber das hörte er schon gar nicht mehr; er war eingeschlafen.
Ich lag noch lange in der Dunkelheit wach und lauschte seinem gleichmäßigen Atem, bis ich endlich die Augen schloss und in die Welt der Träume versank.