Werteverfall oder großes Missverständnis??

  • Neonazis ritzen Hakenkreuze in Menschen mit Zivilcourage, Eltern lassen kleine Kinder jämmerlich verhungern, das so genannte Präkariat bringt eine Generation von Kindern und Jugendlichen hervor, die Bildung nur aus dem TV erfährt... Diese Liste könnte man wohl ewig fortführen.


    All diesen Problemen ist eine Frage gemeinsam, die Frage nach den Ursachen. Gern wird ja in diesem Zusammenhang die all zu reißerische Presse moniert. Aber ist das wirklich alles nur hochstilisiert? Ist es nicht eher so, dass man die Presse nur vorschiebt, um sich selbst die Entwicklungen im Land schön zu reden? So schlimm ist es ja nun auch wieder nicht? Ich weiß es nicht.


    Und dies soll auch kein Plädoyer für die Bildzeitung oder andere Schmierenblätter sein. Ich denke nur, dass es vielleicht Sinn macht, sich mal grundlegend über die Werte in unserer Klingelton-Gesellschaft zu verständigen.


    Was ist uns denn (noch) wert(voll)? Ist körperliche Unversehrtheit nur auf dem Papier wertvoll? Ist das Recht auf Bildung noch wertvoll? Wie siehts aus mit Werten wie Freiheit und Selbstbestimmung? Ist es noch up-to-date, diese Werte hochzuhalten? Oder sind sie bereits Opfer der sich breit machenden Lethargie? Wie siehts aus mit religiösen Werten? Darf man noch darüber sprechen? Oder sind sie unter die Räder der Schnelllebigkeit geraten?


    Ich brauche da mal Hilfe... Möglicherweise sehe ich das ja alles viel zu antiquiert.

  • Nur um jetzt mal einen Punkt hervor zu heben, wohlwissend, dass die anderen Punkte sicher genauso wichtig sind:

    Zitat

    Original von Antananarivo
    .... Wie siehts aus mit religiösen Werten? ....

    Ich weiß leider nicht mehr, wo ich erst neulich davon gehört/gelesen habe. Es wurde jedenfalls bestätigt, was ich vor längerer Zeit im "bild der wissenschaft" las. Demnach kann man auf keinen Fall behaupten, dass religiöse Menschen höhere Vorstellungen von Werten haben als unreligiöse Menschen.


    Abweichung von der Norm (meine eigene Meinung) sind nur in den Extrembereichen religiöser Fanatiker erkennbar, wo nicht mehr in sich gegangen wird um nach seinem Gerechtigkeitsempfinden zu entscheiden, sondern gebetsmühlenartig irgend ein Schwachsinn eingebläut wird. Vielleicht gehe ich da einen Schritt zu weit, wenn ich behaupte, dass vorallem Gläubigkeit (neben einem "Glaubensvakuum" bei plötzlich Ungläubigen) für den Werteverfall verantwortlich ist. Aber Religionen haben uns noch nirgendwo weiter gebracht - eher das Gegenteil war meist der Fall.

  • Mir geht es hier nicht um "bessere oder schlechtere Menschen", egal ob religiös im eigentlichen Sinne oder nicht. Mir geht es u.a. um die religiösen Werte, die wir in unserer abendländischen Kultur nunmal aus der christlichen Tradition ziehen. Werte wie Mitgefühl, Nächstenliebe, Güte, Liebe selbst, auch Sünde. Das setzt Glauben im religiösen Sinne ja nun nicht unbedingt voraus. Aber ist es uns heute noch wichtig? Also so wichtig, dass wir mehr tun, als nur darüber zu reden, wenn überhaupt?


    Religiöse Fanatiker sind sicher wieder ein Thema für sich. Die Religion selbst auch.


    Woran liegt es, dass die Toleranzschwelle gegenüber vielen Dingen sich so wahnsinnig geändert hat? Woran liegt es, dass viele Menschen schweigen, wenn sie Zeuge von Gewalt werden? Warum fällt es uns so schwer, Menschen die anders sind, einfach so zu akzeptieren?

  • Statistisch gesehen ist die Welt heute kein "schlechterer" Ort als sie es vor ein paar Jahrzehnten war. Und wenn sie vor hunderten Jahren besser war, dann nur deshalb, weil man (wieder statistisch gesehen) große Strecken überwinden musste, um jemanden zu finden dem man eine reinhauen konnte. Der Grund warum man dies so wahrnimmt, sind glaube ich ganz verschieden. Als Erstes ist die globale Vernetzung viel dichter als noch vor 10 oder 5 Jahren, d.h. wir bekommen heute viel mehr mit, als noch vor kurzer Zeit, vor allem auch Meldungen die sonst kaum mehr als eine Fußnote in überregionalen Medien gewesen wären, werden heute von allen möglichen Leuten diskutiert, interpretiert und polemisiert und damit auch verinnerlicht. Als Zweites der angebliche Werteverfall der da von einigen konservativen Meinungsmachern übergroß an die Wände gepinselt wird, die das "kultur-, gott- und wertelose Abendland" durch den Islam oder die "Islamisierung" gefährdet sehen. Wohin führt uns das? Sicheren Kulturkampf der Christen gegen den Angeblichen der Muslime. So werden Fronten aufgestellt. Ein anderer Grund ist meiner Meinung nach der, dass Menschen ihre Vergangenheit mit einer gewissen nostalgie sehen und romantisieren. Außerdem hat man sich, als man jünger war, mit diesen Themen vielleicht gar nicht auseinandergesetzt. Oder die Problematik rückt in den Fokus, weil man plötzlich selber Kinder hat. Ich schreibe nachher noch mehr, muss mich erstmal auf die Socken machen.

  • Da hat Ludo sehr gute Theorien aufgestellt an die ich grossteils auch so glaube. Was mich am "Wertesystem" gar nicht gefällt ist die kritiklose, völlige Hingabe zum Kapitalismus. So habe ich z.B. gehört das die deutsche Telekom 2008 einen GEWINN von 30 Millionen € anpeilt welcher sich nur durch das streichen von 35.000 Stellen erreichen lassen wird. Ich empfinde das als Verletzung der Menschenwürde und dient nur der Bereicherung der Aktionäre, der Anleger, also derer, die schon Geld haben das sie in Aktien anlegen können. Das ist ein Umverteilungssystem das Geld zu denen fließen lässt die schon welches haben und es in gleichem Maße denen wegnimmt die wenig davon haben. Durch ständige "Optimierung" des Personalstandes nach unten werden Erwerbstätige durch Mehrarbeit überlastet während anderen die Erwerbstätigkeit unmöglich gemacht wird. Das belastet das sogenannte "soziale Netz" und macht sie damit ebenso zur Geldquelle der Aktiengesellschaften. In diesem Fuhrwasser erklärt man uns das das soziale Netz nicht mehr finanzierbar wäre und man sich besser privat absichert - am besten bei grossen Versicherungen die ja wieder Aktiengesellschaften sind und ebenso ihre Gewinne unter ihren Anlegern aufteilt.


    Die Gesetze des Kapitalismus werden akzeptiert und zunehmend frühzeitig an Kinder und Jugendliche ungedämpft weitergegeben. Das der Kapitalismus nicht dafür sorgt das unsere Kinder Ausbildungsplätze haben sieht man zwar, wird aber scheinbar irgendwie ziemlich toleriert und hingenommen, solange es einem nicht selber trifft.

  • Ja. Die globale Vernetzung ist ganz sicher ein Grund für veränderte Wahrnehmung. Aber es lässt sich nicht von der Hand weisen, dass ein Wertewandel in erheblichem Maße stattfindet. Ich gehe auch nicht in dem Punkt mit, dass konservative Meinungsmache die alleinige Ursache dafür ist. Und nur Nostalgie ist auch nicht der Grund.


    Beispiel:

    Zitat

    Immer seltener spielen Kinder regelmäßig und lange in großen Gruppen im Freien - statt drei, vier Stunden wie in den 1970er Jahren heute im Durchschnitt nur noch eine Stunde. Sie halten sich lieber in den Innenräumen auf, die mit den immobilisierendsten Möbeln der Welt ausgestattet sind - den Bildschirmen. Viele Kinder verlieren so ihre natürliche Bewegungslust. Fachleute sagen: Sie sitzen in der "Trägheitsfalle".

    Quelle


    Warum ist das so? Und wer trägt die Verantwortung? Nur der Staat? Mitnichten! Jedes einzelne Elternteil. Das ist kein Romantisieren. Das sind Fakten.



    Sicher ist das Thema Arbeit ein Problem, welches nicht unterbewertet werden darf. Keine Frage. Aber alles kann man nun auch nicht mit dem Shareholder Value entschuldigen und/oder begründen. Es muss doch auch möglich sein, Werte außerhalb des Arbeitslebens zu schaffen und vor allem zu erhalten. Und jetzt bitte keine monetären Argumente. Die bringen mich immer so leicht auf die Palme.




    Gute Diskussion! macht Spaß! :)

  • Der „Werteverfall“ beginnt doch schon in den meisten Familien zu hause, sicher aus den unterschiedlichsten Gründen, dennoch beginnt es dort. Vielleicht weil viele Eltern ihre Kinder freier erziehen möchten, was an sich gut und richtig ist, nur ich finde das der Respekt der Eltern gegenüber dabei leicht auf der strecke bleibt und wie sollen Kinder dann lernen das man Menschen außerhalb der vier Wände respektieren muss?
    Arbeitslosigkeit entschuldigt nichts, man kann auch mit kleinen dingen großes bewirken!
    Das weg sehen wenn jemanden anderen weh getan wird, ist schon länger zu beobachten und hat nichts mit der jetzigen Zeit zu tun, das gab es schon immer…
    Unsere Kinder wachsen mit den Computern, dem Internet auf, sie spielen Spiele die nicht viel anders sind als Comics die wir gelesen haben, die waren auch nicht gewaltfrei, das als Ursache zu nehmen ist einfach, aber es ist nicht die Ursache!

  • Hallo Leute,


    ich sehe das ganze nicht als Werteverfall sondern als gesellschaftlicher Wandel. Durch die Zeit, der ganzen technischen Entwicklungen usw. verändern sich im Laufe der Zeit auch die Werte.


    Liebe Antananarivo, mir gefällt dein Begriff "Klingeltongesellschaft" . Ich nenne es "Konsumgesellschaft". Neoliberalismus geht mit den Rechte der Menschen achtlos um, während die meisten ihre Bedürfnisse und Wünsche nur durch "Kaufen" befriedigen. Die neuen Werte schaffen Wirtschaftsbosse.


    Leider, auch ich finde mich dabei nicht wohl und kann es nciht oft genug betonen, dass ich nicht dazu gehöre.


    lg, Maylin

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